Gesichts­­bemalung und Smart­­phones

Traditionen werden bewahrt...

Was anmutet wie ein buntes kulturelles Pot­pourri, gehorcht strengen Regeln: „Unsere Jugend bekommt Unter­richt auf Spanisch und Kichwa“, erläutert Patricia Gualinga. Sie ist so etwas wie die inter­­nationale Botschafterin Sarayakus. „Kinder lernen Mathematik ebenso wie unsere alten Mythen.“ Dank Partner­­schaften mit der Kirche und ausländischen Hilfs­­organisationen gibt es sogar Foto- und Computer­­kurse oder auch Kampf­­sport.

Dort wartet dann eine Über­raschung: Die Häuser der 1400 Einwohner sind zwar traditionell aus Holz gebaut und mit Palm­wedeln gedeckt, doch sie haben dank Solar­paneln Strom. Gekocht wird auf offenem Holz­feuer, aber es gibt ein Internet­café, das per Satellit funktioniert – wenn nicht gerade ein Gewitter nieder­geht. Und in der grossen Versammlungs­hütte wartet ein buntes Begrüssungs­komitee: Streng drein­blickende ältere Männer und Frauen mit dem traditionellen hölzernen Herrscher­stab, viele mit der traditionellen, schwarzen Gesichts­bemalung. Flankiert werden sie von jungen Männern und Frauen an Laptops, mit Spiegelreflex­kameras und Smartphones in den Händen. Ein kleines Mädchen, vielleicht drei Jahre alt, blättert versunken in einem spanischen Märchen­buch.

... ohne sich dabei dem Fortschritt zu verschliessen.

Bildstrecke aus der Schule: Vor der ersten Stunde spielen die Kinder eine Runde Karten

Der Unterricht wird auf Spanisch und auf Kichwa abgehalten.

Auf dem Lehrplan stehen eigene Mythen und Traditionen ebenso, ...

... wie Geographie und Geschichte ihrer Heimat.

Das Abitur bereitet die Schüler auf ein Studium außerhalb von Sarayaku vor.

Indigene Identität in einer globalisierten Welt - so sehen die Führer die Zukunft ihres Volkes.

Uns geht es darum, den Fortschritt zu dosieren.

Patricia Gualinga

Doch die Unter­­weisung in der Jagd mit dem Blas­­rohr, in der Fischerei mit Lianen­­gift, in traditioneller Körper­­malerei oder Töpfer­kunst, mit der sich viele Frauen ein Zubrot verdienen, kommt deshalb nicht zu kurz. Eine Flug­linie und eine Gemeinschafts­bank gibt es im Dorf. Strassen, Alkohol und Erdöl­konzerne hingegen sind tabu. „Uns geht es darum, den Fort­schritt zu dosieren und zu kontrollieren, wer in unser Gebiet kommt, denn wir wollen selber ent­scheiden, was für uns wichtig ist und was nicht“, resümiert Gualinga.

Selbst­­bestimmtes Leben in Harmonie

„Sumak kawsay“, die Philo­sophie vom Guten Leben, ist in Sarayaku oberstes Gesetz. Was genau darunter zu verstehen ist, darüber disku­tieren westliche Philo­sophen und Ökonomen endlos – doch für die Bewohner von Sarayaku ist dies klar: „Ein selbst­bestimmtes Leben in Harmonie mit der Natur und der Menschen unter­einander“, sagt Gualinga. Und das bedeutet manchmal auch Verzicht. Mit Lianen­gift gefischt werden darf nur alle sechs Monate, damit der Fisch­bestand nicht gefährdet wird. Die grosse kollektive Jagd, die früher halb­jährlich stattfand, steht nun nur noch alle zwei Jahre auf dem Programm, weil die Zahl der Wild­tiere stark abgenommen hat. Statt­dessen gibt es jetzt von der örtlichen Bank Geld für Fisch­teiche.

Traditionelle Jagd mit dem Blasrohr.

„Wir sind ein Volk des Wider­stands, Erben grosser Krieger“, erzählt Patricias Onkel José Gualinga (54) stolz. Der Kampf­geist wurde vor 20 Jahren auf eine harte Probe gestellt, als aus dem Nichts ein Hub­schrauber auf dem Dorf­platz landete, dem weisse Männer ent­stiegen und der Dorf­gemeinschaft eröffneten, auf ihrem Stammes­gebiet werde jetzt nach Erdöl gebohrt, weil die Boden­schätze der Nation gehörten und nicht ihnen. José, damals Curaca (Anführer) hatte diesen Tag gefürchtet. Er wusste von anderen Völkern um die Macht des schwarzen Goldes. Deshalb hatte er sein Volk vor­bereitet. Gemeinsam hatten sie sich schon lange vor diesem Schicksals­tag gegen die Erdöl­förderung entschieden.

Dem Geld die Stirn bieten

Sarayaku widersetzt sich dem Erdöl.

„Die Pumpen erschrecken die Tiere, die Gase ver­schmutzen die Luft, die Rückhaltebecken mit dem Bohr­schlamm ver­giften unser Wasser, die Strassen zerstören unsere Kultur und korrum­pieren unsere Jugend“, sagt Patricia. „Der Erdölwohlstand ist nur vorüber­­gehend. Wir aber leben vom Regen­­wald, der durch die Ölförderung zer­stört wird. Öl können unsere Kinder nicht essen.“ Doch mit Argu­menten, Bogen und Lanze war diesen über­­mächtigen Feinden nicht beizu­kommen. Das begriffen die Ein­wohner von Sarayaku schnell. Dass die Indigenas ihre Miss­billigung deutlich machten, dass sie Land­titel hatten und ein Recht darauf, vor solchen einschnei­denden Mass­­nahmen konsul­tiert zu werden, all das wog wenig gegen die kombi­nierte Macht von Staat und Geld. Der Konzern bot dem Stamm 10.000 US-Dollar, dann immer mehr, und mit jedem „nein“ wurde der Druck grösser.

Die Dämpfe aus den Bohrtürmen verpesten die Luft.

Den Befreiungs­­schlag brachte schliess­lich ein Amateur­­video über den Einfall der Konzerne, gefilmt von Patricias Bruder Eriberto, das von Sympathi­santen in die sozialen Netzwerke gestellt wurde und eine Welle inter­nationaler Solidarität auslöste. Dutzende auslän­discher Besucher kamen in den kommenden Jahren nach Sarayaku. „Da verstanden wir die Macht der Kommu­nikation“, sagt Gualinga.

Öl können unsere Kinder nicht essen.

Patricia Gualinga

Die Region sollte mit einem Strassennetz und Bohrtürmen durchzogen werden.
Ölpipelines im Regenwald.
Leckende Pipelines verursachen immer wieder Umweltkatastrophen.

Immer wieder mar­schierten die Indigenas in die Haupt­stadt Quito, um zu protestieren. 2012 ent­schied der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof zu ihren Gunsten und verur­teilte den ecuadori­anischen Staat wegen Miss­­achtung der Rechte traditio­neller Völker zu einer Entschädigungs­­zahlung von 1,2 Millionen US-Dollar. Davon wurden die örtliche Gemeinschafts­­bank, Stipendien für Jugend­liche und die Fluglinie „Aerosarayaku“ finan­ziert.  „Die Flug­li­nie ist wichtig, weil wir mit der Aussen­­welt Kontakt haben wollen, wenn zum Bei­spiel jemand von einer Schlange gebissen wird, kann er so schnell aus­ge­flogen werden“, erzählt Samai Gualinga. “Eine Bank brauchen wir, um Projekte zu finan­zieren, Fisch­­zucht oder kommuni­tären Tourismus“, fährt sie fort. Und für das Stipen­dium ist sie selbst ein gutes Beispiel. Die 29-­Jährige konnte so in Quito Design stu­dieren und ent­wirft nun die bunten Logos der Kampagnen. Viele junge Leute sind gut ausge­bildet und wollen dies in den Dienste ihres Volkes stellen. Rony (23) zum Beispiel hat Tourismus studiert und plant ein Programm für Ornithologen zur Vogel­­beobachtung in Sarayaku. Ein Rund­haus für Tour­isten ist gerade im Bau.

Gemein­schaft gross geschrieben

Weitsicht, Hartnäckig­­keit und Zusammen­halt unter­­scheiden Sarayaku von anderen Indigena­gemeinden. Grund­lage ist eine ausge­klügelte, politische Organisation. Die Ämter rotieren, so dass kein Clan zu kurz kommt. Alle Entschei­dungen werden in stunden­­langen Versammlungen so lange disku­tiert, bis ein Konsens gefunden ist, der dann von allen mitge­tragen wird. Gemeinschafts­leben, Gemeinschafts­arbeit und gemeinsame Feste werden gross geschrieben. Kontrovers wird disku­tiert und anschlies­send abge­stimmt. So haben die Indigenas beschlossen, keine evangelikalen Kirchen ins Dorf zu lassen und keine politische Propaganda zuzu­lassen. Denn beides spaltet und trägt Konflikte ins Dorf, befanden sie auf einer Versammlung.

Als Carlos Viteri aus Sarayaku in die Politik ging – in den Reihen von Alianza País des links­populis­tischen Expräsidenten Rafael Correa – wurde er instru­iert, nicht im Namen der Gemeinde zu sprechen und zuhause keine politische Propa­ganda zu machen. Die Bezie­hungen von Correa und der Gemeinde von Sarayaku blieben immer ange­spannt. Die politische Verein­nahmung der Indigenen durch Politiker ist ein heikles Thema: „Carlos lebt jetzt in Quito und ist nur noch selten hier“, winkt Patricia Gualinga ab. „Natürlich gehört er zu uns, aber er ist nichts Beson­deres und muss sich ein­fügen wie alle.“

Gemeinsam bereiten Frauen Chicha aus gegorenem Maniok...
... während die Männer das Dach des Gemeindezentrums ausbessern.

Auch der Vorschlag von José Gualinga, inter­national CO2-Zertifikate auszu­geben und damit neue Projekte zu finan­zieren, scheiterte. Gualinga bedauert das. „Es ist eine komplexe Materie, und die meisten haben nicht wirk­lich verstan­den, worum es geht“, seufzt der 54-­Jährige. Statt­dessen sucht er jetzt Alternativen. Private Förderer zum Beispiel, so wie einen Krabben­­unternehmer, der in Sarayaku in den Öko­tourismus einsteigen möchte. Auch das ist nicht unum­stritten. Manche im Dorf fürchten, dass ihnen dann die Kontrolle über die weitere Entwicklung entgleitet – und dass der Geld­zufluss Ungleichheit und damit Unfrieden schürt.

Jose Gualinga verhandelt mit einem Unternehmer die Unterstützung für ein Tourismusprojekt.
Aufgabe der Bank ist die Vergabe von Kleinkrediten

Deshalb achtet der Direktor der Gemeinschafts­bank auf Ausgewogen­heit bei der Kreditvergabe. Die „Bank­zentrale“ ist ein Holzhaus direkt neben der Gemeinschafts­hütte. Die Buch­haltung ist akribisch – per Laptop und auf Papier wird alles notiert. Die meisten Kredite gab es in letzter Zeit für Fisch­teiche. Davon erhoffen sich die Familien eine zusätzliche Einnahme­quelle. Auf den angestaubten Akten­ordnern im Schrank prangen die Namen der fünf grossen Familien­clans von Sarayaku. Noch sind die Ordner ungefähr alle gleich dick.

Dank Aerosarayaku hält und kontrolliert Sarayaku den Kontakt zur Welt.

Traditionen gehen dabei nicht verloren.

Die gemeinschaftliche Bank von Sarayaku vergibt Kredite für Investitionen in der Gemeinde.

Mittels Internet ist Sarayaku mit der Welt vernetzt.

Nicht nur das Kommunikations-Team profitiert vom W-Lan des Internet-Cafes.

Der Strom wird von Solarzellen generiert, das Signal des Internets wird von Parabolantennen aufgefangen.

Dennoch bestehen Traditionen wie die Jagd mit dem Blasrohr fort.

Der neue Blick auf Indigene

An der Front von Sarayaku sind bisher die Spaltungs­versuche des Staates und der Konzerne zerschellt. Statt­dessen gelang es den Kichwa sogar, die Idee vom Guten Leben in der neuen ecuadori­anischen Verfassung von 2008 zu verankern. Das Dorf ist zum Modell geworden; viele Delega­tionen aus anderen Indigena-­Gemeinden haben Sarayaku schon besucht und sich Anregungen geholt. Gefördert wird dieser Austausch sowie der Aufbau von Menschenrechts­schulen in der ganzen Amazonas­region von der katholischen Kirche und Nicht-­Regierungs-Organisationen. Dabei sollen die Indigenen nach dem Vorbild von Sarayaku befähigt werden, die Menschenrechts­verletzungen gegen ihre Völker aufzudecken, zu dokumentieren und vor internationale Menschenrechts­gremien zu bringen.

Seit Brasiliens rechts­populistischer Präsident Jair Bolsonaro eine wirtschaftliche Gross­offensive auf den Amazonas gestartet hat und dafür die indigenen Schutz­gebiete entmachten will, sind die Amazonas­völker international ins Rampen­licht gerückt. Vor zwei Jahren trafen sich Patricia Gualinga und der brasilianische Kardinal Claudio Hummes, Präsident des Panamazonischen Netzwerkes (Repam). „Die Art, wie die Welt uns Indigene sieht, verändert sich“, sagte sie anschliessend zufrieden. „Wir sind nicht mehr die Wilden, die evangelisiert, gekleidet und ausge­bildet werden müssen.“ Statt­dessen ist die Welt bereit, die Weis­heit der indigenen Völker anzuhören. Papst Franziskus hat ihnen in der Umwelt-­Enzyklika „Laudato si“ die Türen geöffnet, um ihrer Spiritualität, ihrer Sorge für „das gemeinsame Haus“  eine Platt­form zu geben.

Wir sind nicht mehr die Wilden.

Patricia Gualinga

Gualinga will diese Gelegen­heit nicht unge­nutzt verstreichen lassen. Sarayaku hat bereits ein neues Konzept in petto: Kawsak Sacha. Der noch unberührte Primär­wald, in dem den Mythen zufolge nicht nur viele Wild­tiere, sondern auch die Geister der Natur und der Vorfahren leben, soll nun einen Rechts­status bekommen, der ihn „für ewig unantastbar“ macht.

INTERVIEW MIT Alberto Acosta

Die Wachstumswende

Wir müssen Tabus in Frage stellen und neue Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens finden, fordert der ecuadorianische Ökonom. Dabei sind Kreativität gefragt und lokale Lösungen.

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PODCAST VON SANDRA WEISS