Die Hüter der Quellen
Ein Sparschwein gibt der Natur eine Stimme
E s ist eisig kalt. Der Wind pfeift. Vom Himmel fällt ein sanfter Nieselregen, und der Boden gibt bei jedem Schritt nach wie ein Schwamm. Es ist ein unwirtlicher und zugleich faszinierender Ort, von dem Ecuadors Hauptstadt Quito ihr Wasser bezieht. Auf 3.500 Metern Höhe, in den Hochmooren der Anden, liegt der Ursprung der meisten Flüsse des Landes, sowohl derjenigen, die im Pazifik münden, als auch derjenigen, die das Amazonastiefland wässern und schliesslich in den Atlantik fliessen. Man muss genau hinschauen, um die Feinheiten eines Ökosystems der Extreme zu erkennen. Die Schönheit der bunten Moose, deren Töne von rostrot bis hellgrün reichen, des Papierbaums Polylepis mit der runzligen Rinde oder des Grases Calamagrostis intermedia, das aussieht wie ein riesiger, beigefarbener Igel.
Film über die Paramos und die Arbeit des Wasserfonds FONAG (4:15)
Schwamm in Gefahr
„Dieses Ökosystem ist extrem sensibel. Es funktioniert wie ein riesiger Schwamm. Moose und Gräser haben alle eine wichtige Funktion. Sie müssen das Wasser aufsaugen und im Boden speichern“, sagt die Biologin Carla Pérez. Diese Vorratskammern geben es dann dosiert und langsam wieder ab. In kleinen Pfützen, die zu lauschigen Bächlein werden, zu Flüssen anschwellen und schliesslich zu enormen, trägen Strömen im Tiefland werden.
Anders als die Gletscher, die im Sommer oder unter klimabedingter Erwärmung schlagartig enorme Wassermassen freisetzen und mit ihren reissenden Gewässern zu einer lebensbedrohlichen Gefahr für Anrainer werden können. Deshalb ist das Hochmoor, der Páramo, eine strategische Ressource für Andenländer wie Ecuador.
Der Páramo funktioniert wie ein riesiger Schwamm
Carla Pérez, Biologin


Rund 12.000 Quadratkilometer Ecuadors sind von Páramos bedeckt. Alleine im Grossraum Quito hängen rund 5 Millionen Menschen vom Wasser ab, das die Natur in den Páramos und zu einem geringeren Teil in den Gletschern der umliegenden Berge ohne menschliches Zutun sammelt. Doch der natürliche Wasserspeicher ist bedroht. Zum einen durch den Klimawandel, der dazu führt, dass Schädlinge und auch Nutzpflanzen aufgrund steigender Temperaturen immer weiter die Höhenmeter hochklettern. Kartoffeln beispielsweise werden heute schon bis 3.700 Meter angebaut. Eine andere Gefahr ist die Einwirkung des Menschen. Viehweiden sind ein grosses Problem, denn die Hufe der Tiere verdichten den Boden und verringern damit seine Speicherkapazität. Ausserdem kontaminieren sie mit ihren Ausscheidungen das Wasser schon an der Quelle. Auch Brandrodung vernichtet die sensiblen Moose und Flechten, die jahrelang brauchen, um sich davon wieder zu erholen, Strassen und Stromtrassen greifen ebenfalls ins Ökosystem ein. Die grösste Bedrohung aber ist der Tage-Bergbau. In den Höhenzügen der Anden liegen wertvolle Mineralien, von Kupfer über Silber und Lithium bis Gold. Die Bergbaukonzerne drängen ebenfalls in die Páramos. Zum einen wegen der dort vermuteten Bodenschätze, zum anderen, weil der Tagebau viel Wasser benötigt, das die Unternehmen gerne gratis den Páramos entziehen würden, statt kostspielig Meerwasser zu entsalzen und in die Höhe zu pumpen.
Bündeln statt spalten
Im Nachbarland Kolumbien stellte das Verfassungsgericht deshalb 2016 die Páramos unter Naturschutz und zwang die Regierung, Bohr- und Bergbaulizenzen zu stornieren. Bergdörfer halten nun Plebiszite ab, in denen dem Bergbau regelmässig eine Absage erteilt wird. Doch die neoliberale Regierung sträubt sich, dies anzuerkennen. Das führt zu ständigen Konflikten, zu Rechtsstreit und Militarisierung betroffener Regionen. Ecuador ging einen anderen Weg, der Kräfte bündelt statt zu spalten. Auch in Ecuador stehen die Páramos unter Naturschutz. Doch hier haben sie dank eines ausgeklügelten Verwaltungsmodells, des Wasserfonds Fonag, eine Menge Fürsprecher, die alle an einem Strang ziehen – von Unternehmen über Bauern bis zu staatlichen Institutionen. Denn sie alle wissen um die Bedeutung der Hochmoore und ziehen aus ihrem Schutz einen direkten Nutzen. Gemeinsam bilden sie eine massive Front gegen Bergbaukonzerne.
Früher hatte Oswaldo Ayaje wenig Verständnis für die Wirkung der Hochmoore. Er lebt in Oyacachi, einem kleinen Dorf am Fusse des Nationalparks Cayambe-Coca. „So hoch oben wuchs nichts, nicht mal Kartoffeln, deshalb hatte der Páramo keinen besonderen Wert für uns“, erzählt der Bauer. Nur für die Kühe gab es etwas Futter in der Höhe – aber auch nicht sehr nahrhaftes. Heute treibt Ayaje seine Kühe nicht mehr auf die Bergweiden, sondern züchtet Forellen und patrouilliert als einer von 20 Parkwächtern das Hochmoor. Für seine Kühe baut er in tieferen Lagen nährstoffreiche Kraftfuttermischungen an. Und das alles hat mit dem Fonag zu tun, dem Wasserfonds der Stadt Quito, für den auch Biologin Pérez arbeitet.
Wir geben der Natur eine Stimme
Pablo Lloret

Als in den 90er Jahren in Quito wegen einer anhaltenden Dürre plötzlich das Wasser knapp wurde, schmiedeten Umweltschützer, Unternehmer und weitsichtige Politiker eine Allianz und richteten im Jahr 2000 den ersten Wasserfonds des Landes ein. „Das ist ein Sparschwein, in das jeder Geld wirft“, so umschreibt Pablo Lloret, Umweltdirektor der Wasserwerke von Quito (Emaps), die Grundidee des Fonds. „Daran beteiligen sich der Staat, die Privatwirtschaft und Umweltschützer. Dadurch bekommt der Wasserfonds einen inklusiven und kooperativen Charakter“, sagt Lloret, der zweimal Direktor des Fonag war. Die Anteilseigner bringen ihr jeweiliges Fachwissen ein und kontrollieren sich gegenseitig, was der Transparenz und Effizienz zuträglich ist. Partnerschaften mit Schulen und Universitäten sorgen für die wissenschaftliche Grundlage und die Umwelterziehung der kommenden Generationen. Viele Hochschulen haben Wetterstationen in den Páramos eingerichtet und sammeln Klimadaten für die Forschung. „Auch uns nützen diese Daten. Wenn zum Beispiel durch viel Niederschlag die Flüsse anschwellen, können wir die flussabwärts gelegenen Anrainer rechtzeitig warnen und Evakuierungen ansetzen“, sagt Pérez.

Geld für Ressourcenschutz fernab
politischer Turbulenzen
Sechs Gründungsmitglieder legten im Jahr 2000 den Grundstein für den Fonds: Die Wasserwerke von Quito, die Umweltorganisation The Nature Conservancy, die Brauerei Cerveceria Andina, der städtische Stromversorger, die Schweizer Entwicklungshilfe Deza und der Getränkehersteller Tesalia. 21.000 US-Dollar zahlte jeder ein. Aus den Zinsen und 2% der Wassergebühren der Stadt Quito bestreitet der Fonds seine Ausgaben und bildet seine Rücklagen. Aufgabe des Fonag ist der Schutz der Páramos. „Der Fonag gibt der Natur eine Stimme“, sagt Lloret – und vor allem Geld. Er war eines der Beispiele, die in die neue ecuadorianische Verfassung von 2007 einflossen, in der erstmals der Natur Rechte eingeräumt wurden. Der Fonag hat aus Sicht Llorets mehrere Vorteile: „Er hat einen langfristigen Horizont, ist finanziell und politisch unabhängig und sachorientiert.“ Von den in Lateinamerika üblichen politischen Turbulenzen und Wirtschaftskrisen abgeschirmt, können hier Experten walten.
In Lateinamerika ist der Fonag inzwischen zum Vorbild geworden. Von Brasilien über Panama bis Mexiko stehen Interessenten Schlange, um sich etwas abzuschauen. Auch die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) ist inzwischen Partner des Fonag. 22 Wasserfonds gibt es mittlerweile in Lateinamerika. Doch nicht alle Kopien sind so ausgeklügelt. Manchmal überwiegen Privatinteressen oder die Fonds sind eher ein oberflächlicher Marketinggag für Firmen. In anderen Fällen sind sie unterfinanziert oder nicht unabhängig von der Politik, was sie nach jeder Wahl anfällig macht für politische Einmischung.
Ein strategischer Partner für Unternehmen
Maria Isabel Parra, Tesalia
Der Fonds verwaltet und bewacht die Naturschutzgebiete der Páramos und vergrössert sie durch den Ankauf angrenzender privater Flächen. Er verschafft ausserdem den umliegenden Gemeinden, die oft sehr arm sind, neue Einkommensmöglichkeiten. Einer der rund 4000 direkt Begünstigten ist Ayaje. Der Bauer ist nun Parkwächter bei Fonag und achtet darauf, dass keiner der Dorfbewohner mehr den Páramo abfackelt, um dort Felder anzulegen, oder seine Kühe hoch oben weiden lässt, denn das verwandele das empfindliche Ökosystem in eine Sandwüste, erklärt er. Und das schade nun den Familien von Oyacachi nun direkt. „Viele von uns haben dank der Beratung und Unterstützung des Fonag jetzt eine Forellenzucht statt Kühe, um sich mit Protein zu versorgen. Dafür brauchen wir frisches Wasser, und das kommt direkt aus dem Páramo,“ erzählt Ayaje.
Anders in Ecuador. Der grösste Getränkehersteller des Landes, Tesalia, hat sein Engagement nicht bereut: „Für uns ist der Fonag ein strategischer Partner mit Expertenwissen und lokaler Verankerung gleichzeitig“, sagt die PR-Direktorin von Tesalia, Maria Isabel Parra. „Bei ihm finden wir Fachleute, die Schutzprogramme gemeinsam mit den betroffenen Gemeinden und Bürgern langfristig umsetzen können. So bekommen wir als Unternehmen Planungssicherheit und können davon ausgehen, dass unsere Quellen auch in zehn Jahren noch sprudeln. Das alles könnten wir niemals alleine bewerkstelligen.“ Rund 20.000 US-Dollar gibt der Konzern jährlich zusätzlich dem Fonag speziell für Wiederaufforstung und Umwelterziehung.
Spielen und Wandern für
den Quellenschutz
Der Fonag investiert zudem in den Tourismus als ökonomische Alternative. „Quito ist eine Stunde entfernt“, erklärt Pérez. „Das ist ideal für Schul- und Wochenendausflüge, um die Städter mit geführten Touren für die Hochmoore zu sensibilisieren. In den Natur parks rund um Quito gibt es inzwischen zahlreiche ausgeschilderte Wanderwege. Wo ein Angebot ist, entsteht auch eine Nachfrage: Die Hauptstadtbewohner entdecken zunehmend die Natur als entspannendes Programm. Wochenend-Tourismus und das Kunsthandwerk sind so für Oyacachi zu einer wichtigen neuen Einnahmequelle geworden. Damit die Touristen nicht die Nase rümpfen, baut die 700 Einwohner zählende Gemeinde zusammen mit dem Fonag ein Kanalisationssystem – nicht selbstverständlich in so abgelegenen Bergdörfern. „Für uns gibt es ein vorher und ein nachher; der Fonag hat uns einen riesigen Entwicklungssprung gebracht“, sagt Bürgermeister Mauricio Parión anerkennend.
In Oyacachi wurde mit Hilfe des FONAG und anderer Akteure ein Paradies für Ökotouristen geschaffen.

INTERVIEW MIT Pablo Lloret
Gemeinsam an einem Strang
Wasser ist eine strategische Ressource der Zukunft. Wie man Kräfte bündelt, um sie zu bewahren statt Konflikte um ihre Nutzung schürt, erklärt der Umweltexperte der Städtischen Wasserwerke von Quito. Interview lesenPODCAST

English version
The Guardians of the Sources
It's freezing cold. The wind whistles. A gentle drizzle falls from the sky, and the ground cedes like a sponge with every step. It is an inhospitable and at the same time fascinating place... Read the text
English Version - Video
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