Gemeinsame Verantwortung für die Andenquellen
Quito. Im Naturpark Antisana weht der eisige Wind der Andengipfel und kräuselt die Lagune des Hochmoors. Pablo Lloret atmet tief durch. Nicht oft hat der Umweltdirektor der Wasserwerke der ecuadorianischen Hauptstadt Quito Gelegenheit, seinen Schreibtisch hinter sich zu lassen. Dabei hat hier oben alles angefangen mit dem Schutz der Hochmoore der Anden – und damit der wertvollen Wasserquellen. Der Wasserfonds Fonag war der erste seiner Art weltweit, ein Pilotprojekt – und nach fast 20 Jahren ist er zu einem internationalen Vorbild geworden.
Herr Lloret, was ist ein Wasserfonds?
Das ist eine ecuadorianische Erfindung aus dem Jahr 2000. Dabei handelt es sich um einen Treuhandfonds mit der Aufgabe, unsere Wasservorräte in den Páramos zu schützen. Das ist also ein Sparschwein im Namen der Natur oder der Wasserquellen, in das staatliche und private Geldgeber einzahlen. Sie alle haben ein Mitspracherecht und kontrollieren sich gegenseitig. So ist ein solcher Fonds unabhängig, integrativ und effizient.
Und was sind Páramos?
Das sind die Hochmoore der Anden, riesige Wasserspeicher, die wie Schwämme funktionieren. Sie saugen die Feuchtigkeit aus der Luft auf und geben sie langsam wieder in kleinen Seen und Bächen wieder ab. Von den Páramos hängt ein wichtiger Teil der Wasserversorgung der Hauptstadt Quito ab, ganz ähnlich wie in anderen Städten der Anden. Nur wenige wie La Paz versorgen sich noch aus Gletschern, aber auch das ändert sich mit dem Klimawandel und der Gletscherschmelze.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Páramos mit einem Wasserfonds zu schützen?
Das geht zurück auf die 90er Jahre. Damals gab es in Quito eine Dürreperiode. Zusammen mit dem Bevölkerungswachstum, dem Absinken des Grundwasserspiegels und der Verschmutzung von Wasserquellen in den Anden war das eine Katastrophe. Wir mussten das Wasser rationieren, und so etwas ist für die Bevölkerung ärgerlich und Gift für die Popularität von Politikern. So suchten alle nach Lösungen, und auf einen Vorschlag der NGO „The Nature Conservancy“ (TNC) hin wurde 2000 der Fonag gegründet. Vorbild waren Umweltfonds, die TNC damals schon in einigen Ländern hatte. Aber das fiel just zusammen mit der grossen Finanzkrise, in deren Folge Ecuador seine Wirtschaft dollarisierte. Es war also überhaupt kein günstiger Moment.
Und wie hat er sich bewährt?
Anfangs wurde die Aufgabe des Fonag nicht so recht verstanden. Es gab bürokratische Rivalitäten zum Beispiel mit den städtischen Wasserwerken von Quito, die sich bis dahin um den Quellenschutz bemühten und ebenfalls eine Umweltabteilung besassen. Aber die Rivalitäten legten sich im Laufe der Jahre. Es gibt messbare Erfolge. Die Qualität und die Quantität des verfügbaren Wassers haben sich verbessert. Viele durch Vieh verschmutzte und deshalb geschlossene Quellen konnten wieder geöffnet werden. Viele Páramos wurden regeneriert wie am Antisana. In Quito gibt es seit Jahren keine Wasserrationierung mehr.
Ist so ein Fonds denn effektiver als zum Beispiel Gesetze oder ein rein staatliches Wassermanagement?
Durch seine finanzielle und administrative Struktur ist er meiner Meinung nach weniger anfällig für politische Turbulenzen. Und diese Langfristigkeit und Planbarkeit ist enorm wichtig, wenn es um Umweltpolitik geht. Eines der Erfolgsgeheimnisse ist, dass ein Treuhandfonds eine ganz klare Aufgabe hat, und der Treuhänder kontrollieren muss, dass diese auch erfüllt und das Geld nur dafür ausgegeben wird. Dann geben wir nur die Zinsen aus, nicht das Kapital. So stehen wir nie ohne Geld da oder müssen plötzlich mit viel weniger auskommen, weil ein Parlament oder eine Regierung das so beschlossen hat. Zum anderen sind wir mit 50 Angestellten eine kleine Struktur und können viel flexibler reagieren, beispielsweise auf Krisen oder Konflikte um Wasserquellen. Zudem schafft die Zusammenarbeit zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor eine gemeinsame Verantwortung für die Umwelt, auf der Basis von Kooperation statt Konflikt. Das andere sind die regelmässigen Rechenschaftsberichte, die alle drei Monaten auf einer Sitzung vorgelegt werden. Hinzu kommt eine jährliche externe Buchprüfung. Das Geld wird auf unsere Anweisung hin vom Treuhandsverwalter zweckgebunden ausgezahlt, etwa an die Parkwächter oder externe Berater. Das alles garantiert grösstmögliche Transparenz.
Was ist der Vorteil für die Firmen?
Tesalía beispielsweise hat seine Quellen in einem Hochtal. Wird dort zu viel abgeholzt, könnten sie vertrocknen. Es wäre sehr teuer und kompliziert für die Firma, selbst das Ökosystem zu schützen. In Zusammenarbeit mit dem Fonag ist es einfacher, auch weil der Fonag eine von allen akzeptierte und respektierte Institution ist.
Wie viel ist denn in ihrem Fonds?
Jeder der Teilhaber hat 21.000 US-Dollar eingezahlt. Das waren auf öffentlicher Seite die kommunale Wasserversorgung von Quito (Emaps) und die kommunale Energieversorgung von Quito, weil die viel mit Wasserkraft arbeitet. Von privater Seite waren es der Getränkekonzern Tesalía, die Brauerei Cervecería Andina, die Umweltschutzorganisation TNC und ein weiterer Umweltschutz-Dachverband. Zusätzlich versprach Emaps, 1% seiner Einnahmen laufend einzuzahlen. Bis 2004 hat es gedauert, bis genug Kapital angespart war und wir loslegen konnten. 2008 erhöhten die Wasserwerke den Anteil auf 2%. Also von der Wasserrechnung eines jeden Hauptstadtbewohners fliessen 2% in den Fonag. Das sind ca. 200.000 US-Dollar pro Monat. Damit ist Emaps der grösste Teilhaber und Vorsitzende des Fonds. Emaps steuert 85% der Einnahmen bei, das städtische Energiewerk 9%, und der Rest die privaten Teilhaber.
Was machen Sie mit dem Geld?
Wir schützen die Quellen, indem wir die örtliche Bevölkerung dahingehend sensibilisieren, dass dieses empfindliche Ökosystem nicht als Weide dienen kann. Stattdessen stellen wir sie als Parkwächter ein oder bieten Alternativen wie zum Beispiel die Forellenzucht und den Tourismus. Wir haben auch schon Páramos, die in Privatbesitz waren, gekauft, regeneriert und zum Naturschutzgebiet umgewandelt. 20.000 Hektar sind nun unser Eigentum. Wir erheben hydrometeorologische Daten, und zwar zusammen mit Universitäten. Ein wichtiger Teil ist Bildungsarbeit an Schulen und bei den Konsumenten, um den Wasserverbrauch zu drosseln. Er liegt in Quito zur Zeit bei 220 Liter pro Kopf. Dann versuchen wir die Infrastruktur, also das Leitungs- und Rohrsystem, zu verbessern. Wir verlieren derzeit 26% des Wassers durch Lecks, die durch Probleme in der Infrastruktur verursacht werden. Das ist die niedrigste Verlustquote in Ecuador und eine der niedrigsten in Lateinamerika.
Gibt es keine Konflikte etwa mit Bergbauunternehmen?
Ja sicher. Wenn zum Beispiel Goldschürfer einfallen oder jemand das Hochmoor abfackelt, intervenieren wir. In der Regel handelt es sich dabei um Einzelpersonen, die oft sehr viel Geld haben und versuchen, sich so Ressourcen unter den Nagel zu reissen. Wir verhandeln dann mit ihnen oder machen das öffentlich, und wenn das nicht hilft, zeigen wir sie an. Konzessionen an Grossfirmen werden in den Schutzgebieten des Fonag normalerweise nicht vergeben. In anderen Regionen passiert das aber schon, und das endet in der Regel vor Gerichten.