Ernst Götschs Philosophie: "Mit der Natur, statt gegen sie wirtschaften"
Gandú. Bei dem Mann, der die Idee für eine Revolution in der Land wirtschaft hat, geht es zünftig zu. Das Geräusch der Kettensäge dringt schon von weitem durch seinen dichten Wald im Süden des brasilianischen Bundesstaates Bahia. Von früh bis spät, unterbrochen durch trockene Schläge mit der Machete. Doch statt Kahlschlag entsteht hier ein menschengemachter Dschungel. „Dahinter steckt ein 72-jähriger Schweizer vom Bodensee, halb Dickschädel, halb Genie, mit einer Idee, die die Landwirtschaft auf den Kopf stellen könnte: „Syntropie“ hat Ernst Götsch sein System genannt, in dem die Pflanzen eine Mischgesellschaft bilden, bestimmte Stoffwechselprodukte füreinander produzieren und mit der Zeit immer komplexere Ökosysteme und immer fruchtbarere Böden bilden. Also genau das Gegenteil der herkömmlichen, mechanisierten Chemie-Landwirtschaft. Ein System, das mit der Natur und nicht gegen sie arbeitet, wie der hagere Mann mit dem Ziegenbart betont. Und das Erfolge zeitigt. Mittlerweile ist Götsch weltweit im Einsatz, von Portugal bis China.
Herr Götsch, die Grüne Revolution wurde als Segen für die Menschheit gefeiert, und noch heute behaupten die Agrokonzerne, ohne sie sei die Menschheit nicht zu ernähren. Wie sehen Sie das?
Das Hauptproblem unserer Art von Landwirtschaft ist die Erschöpfung von Rohstoffen. Die Böden werden verdichtet, das Bodenleben aus dem Gleichgewicht gebracht, und das Ökosystem verarmt. Die moderne Landwirtschaft mit ihren gentechisch veränderten Organismen und den dazu passenden Technologiepaketen aus Düngern und Pestiziden wurde so zum größten umweltbelastenden Faktor weltweit.
Momentan wird so aber noch eine wachsende Weltbevölkerung ernährt....
Ja, aber es kracht im Gebälk. Wie früher bei anderen Hochkulturen auch schon, weil sie die Rohstoffe, also ihre Aufstiegsgrundlage, erschöpft hatten. Die Krise beginnt auf lokaler Ebene, weitet sich dann regional aus, bis das ganze System untergeht. Das passierte den Römern, und das passierte den Mayas. Und wir sind heute auf dem besten Weg dahin, und zwar global. Einer der Gründe dafür, so scheint es mir, ist das schiefe Verhältnis, das wir Menschen zum Ökosystem 'Wald' haben, also unser Antagonismus zwischen Wald oder Landwirtschaft.
Könnten Sie das näher erklären?
Die Beziehung zwischen Mensch und Wald ist gestört. Unsere aktuelle Form des Menschen entstand in der trockensten Phase der letzten Eiszeit, vor etwa 35.000 Jahren. Die dominanten Ökosysteme jener Zeit waren Trockensteppen und Savannen. Der Wald, der sich dann durch die Erwärmung unserer gegenwärtigen Zwischeneiszeit etablierte, war für die Menschen eine Bedrohung. Und das ist bis heute in unserem Instinkt verankert. Deshalb begehen die verschiedenen Zivilisationen alle immer wieder den gleichen Irrtum: Wald weg, natürliches Ökosystem weg, was in seiner Folge zu Knappheit an Ressourcen führt und am Ende zum Kollaps. Und wenn dann der Mensch wegstirbt und seine durch ihn aufgebauten Zivilisationen verschwinden, erholt sich das Ökosystem. Später vielleicht entstehen an diesen Orten wieder neue Zivilisationen. Bis jetzt aber haben diese immer wieder die gleichen Fehler begangen.
Wir Menschen sind also die dümmste Spezies dieser Welt, obwohl wir uns für die klügste halten?
Wir begehen immer wieder Selbstmord. Ich kenne keine andere Spezies, die das tut. Doch die Natur hat kein Problem mit den Menschen. Nur wir haben ein Problem mit der Natur. Und wenn wir es nicht schaffen, als Spezies nützlich zu werden, wird der Planet auch unsere Zivilisation in Vergessenheit schicken. Der Mensch ist nur eine kleine Episode für unseren Planeten. Das Leben wird überleben, auch ohne uns.
Gab es auch Episoden, in denen der Mensch etwas gelernt und Dinge richtig gemacht hat?
Ja, sicher. Zum Beispiel in Europa, in einer Epoche, die bis heute einen schlechten Ruf hat, nämlich dem Mittelalter, zur Zeit der Feudalherrschaft. Im Hochmittelalter, also vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, und dann noch einmal in einigen Regionen zwischen dem 16. Und dem 19. Jahrhundert. Da wurden andere, sehr interessante agroökologische Systeme geschaffen. Das Land gehörte nicht dem Bauern, sondern dem Feudalherren. Und die Bauern bewirtschafteten es als Lehen und haben jedes Jahr dem Vogt, also dem Steuereintreiber des Feudalherren, 20% ihres Ertrags abgegeben. Weder der Bauer noch ein guter Feudalherr betrachtete das Land als sein Eigentum. Es war ein von ‘Gott' gegebenes und erhaltenes Gut, und als solches musste es gut verwaltet und wenn möglich reicher weitergegeben werden, als man es erhalten hatte, so dass auch die nächsten Generationen davon leben konnten. Obsthaine, zum Beispiel, die noch 250 Jahre später grosse Mengen von Früchten bester Qualität produzierten. Einer davon war der meiner Eltern, woraus wir noch zu Beginn der 50er Jahre 70% unserer Produktion erzielten.
Wie funktioniert denn nun die syntropische Landwirtschaft?
Es ist eine Form der Landwirtschaft, die die Natur nachahmt und mit der Dynamik des Ökosystems arbeitet. Wir arbeiten also mit der Natur statt gegen sie. In der modernen Landwirtschaft wird Unkraut bekämpft, für mich sind alle Lebewesen potenzielle Alliierte. Jedes hat seine Funktion, und wir können es entsprechend einsetzen. Sie alle zusammen bilden einen grossen Organismus. Wir brauchen für die syntropische Landwirtschaft weder Dünger noch Pestizide. Der wichtigste externe Input ist Wissen. Resultat unseres Einwirkens ist dadurch ein immer reicheres Ökosystem.
Bäume spielen dabei ja eine wichtige Rolle. Ist das also ein klassischer Agroforst oder eine biodynamische Mischkultur?
Beide Elemente spielen eine Rolle. Aber das wichtigste daran ist, dass ich keine Dünger und Pestizide verwende, auch keine biologischen. Der Mensch hat lediglich die Funktion, potenzierend einzugreifen. Vergleichbar etwa mit der Giraffe in der Savanne, die dort die Bäume des Mittelbaus stutzt. Stutzen bringt mehr Wachstum und mehr Früchte. Und so wird dies eine sehr wichtige Funktion des Menschen in den zukünftigen Wald-Agro-Öko-Systemen sein, zusätzlich zum Pflanzen und anderen Aufgaben.
Es gibt Früchte, die gut im Wald wachsen, Kaffee oder Kakao zum Beispiel. Aber wie kann ich mir das bei Weizen oder Soja vorstellen?
Weder für Zuckerrohr, noch für Weizen noch für Mais oder Soja stören Bäume. Wir können ein Agroforstsystem kreieren, das dem Wald sehr nahe kommt. Wir pflanzen tausend oder zweitausend Bäume pro Hektar. Sie sorgen zunächst für Wachstum und Verfügbarkeit von Nährstoffen und Wasser. Und wenn diese Bäume dann gewachsen sind, können wir sie im richtigen Moment, wenn das Getreide Licht braucht, stutzen. Somit können wir zum einen den Lichteinfall regulieren, und zum andern sorgen wir damit für organisches Material, das den Boden düngt. Wenn wir dann dieses Getreide geerntet haben, beschatten unsere Bäume schon wieder den Ort.
Gut, das kann ich mir bei Kleinbauern vorstellen, die ein paar Hektar bewirtschaften. Aber wie sieht es mit den Grossbauern aus?
Das Prinzip ist dasselbe, und die Erfahrungen damit sind bisher vielversprechend. Sobald die Bauern das System verstehen, ändern sie ihre Art zu wirtschaften. Viele haben ja nicht aus Bosheit die Technologiepakete der Agroindustrie gekauft, sondern weil sie nie darüber nachgedacht und Rezepte einfach übernommen haben. Sobald sie auch nur kleine Dinge in der Produktion ändern und das Ergebnis sehen, wird sich etwas in ihren Köpfen tun: Es wird ein grosses Aha-Erlebnis, und sie tun die Dinge dann aus eigenem Antrieb, weil sie ihnen Freude bereiten. Ich begleite eine Gruppe von Grossbauern in Brasilien, die mit Bakterien, Fermentation, Homöopathie und mit eng gepflanzten Baum reihen experimentieren. Wir tauschen uns regelmässig aus, jeder trägt etwas bei und so lernen wir gemeinsam auf insgesamt mehr als 10.000 Hektar.
Trotzdem gibt es ja noch viele Hindernisse...
Ja, die Grösse der Flächen ist eine Herausforderung, insbesondere fehlen uns noch intelligente Maschinen dafür, denn Fläche von mehreren hundert oder tausenden Hektar kann man nicht mit wenigen Leuten von Hand bearbeiten. Was wir heute an Maschinen haben, ist nicht einsetzbar. Aber ich bin zuver sichtlich, dass wir dieses Problem lösen können. Die Nachfrage der Landwirte wächst exponentiell. Ich bekomme immer mehr Anfragen von Plantagen- und Grossgrundbesitzern, deren konventioneller Anbau nicht mehr funktioniert. Weil die Schädlinge und das Unkraut Resistenzen entwickelt haben und die Kosten immer höher werden. Ihr System ist am Ende.
Nun entwickeln die Saatgutkonzerne aber immer neue Samen, die zum Beispiel dürreresistent sind, intelligente Bewässerungssysteme. Und Computer, die punktgenau feststellen, welche Nährstoffe fehlen.
Ja, doch auch diese werden mit den Mitteln und den Prinzipien der Grünen Revolution die Probleme, die daraus entstehen, nicht lösen. Das ist eine Frage der Herangehensweise. Wenn ich alles, was nicht meine Nutzpflanze ist, als Feind betrachte, dann habe ich viele Feinde, gegen die ich ständig Krieg führen muss. Diesen Krieg können wir aber nicht gewinnen. Mein System beruht auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz. Dass es nicht so weitergehen kann, wissen auch die Grossen wie Syngenta und Bayer, die längst schon verschiedenste Wildpflanzen sammeln und Bakterien und Mikroorganismen erforschen. Nicht nur, um die entsprechenden Gene zu haben, sondern auch, weil sie sehen, dass sie jene als ganze Pflanzen in Zukunft brauchen für die Landwirtschaft.
Die grossen Firmen aber bekämpfen alternative Formen der Landwirtschaft mit allen Mitteln. In Brasilien haben sie versucht, Mikroorganismen als „biologische Waffen“ verbieten zu lassen. Haben Sie schon Drohungen bekommen?
Erst hat man mich ignoriert, dann lächerlich gemacht, und dann versucht, mich totzuschweigen. Das hat mich in meiner Idee aber immer nur bestärkt. Ich kenne keine Feinde, und meine Art der Landwirtschaft ist keine Kriegserklärung, sondern ein Vorschlag für Lösungen. Wenn ich etwas Wundervolles teile, und andere das auch gut finden und mitmachen, werden wir gemeinsam eine bessere Welt schaffen. In den Firmen sitzen ja auch viele Leute mit grossartigen Ideen. Sie müssen vielleicht nur in eine andere Richtung gelenkt werden, also in Richtung Peace-Farming statt War-Farming.
Was hat es mit diesem Konzept von Peace-Farming auf sich?
Mein System beruht auf bedingungsloser Liebe und Kooperation. Dadurch öffnen sich alle Teile des Systems und geben ihr Bestes, und das kreiert Reichtum und Überfluss. Das ist die Voraussetzung für Frieden, und Frieden bedeutet Leben. Die derzeitige Form der Landwirtschaft beruht auf Konkurrenz und kaltem Wettbewerb, was dazu führt, dass sich die Unterworfenen verschliessen, denn niemand will ausgebeutet werden. Das führt zu Knappheit, und Knappheit führt zu Krieg, und Krieg führt in den Bankrott und den Tod. Durch die Verwirklichung meiner Vorschläge könnte der Mensch zu einem segensschaffenden, bereichernden Element werden für das Leben auf unserem Planeten.
Darwin hat aber festgestellt, dass die Arten sich dank Knappheit, Wettbewerb und Konkurrenz weiterentwickeln.
Darwin, als Kind seiner Zeit und dem sozialen Kontext seiner Herkunft, konnte nur diese Seite sehen. Und somit war er blind für die viel entscheidendere Kooperation der Arten untereinander, die in komplexen Ökosystemen funktionieren, und so erst Evolution ermöglichen.
Welchen Wunsch haben Sie noch für die Zukunft?
Mein großer Traum - und vielleicht auch mein Lebenszweck – ist es, einen kleinen Beitrag zu leisten, dass diese Art der Landwirtschaft, die ich betreibe, zur dominanten Methode wird. Ich hoffe, dass wir es schaffen werden und somit zu einer Aussöhnung mit der Natur und dem Planeten kommen. Wenn das passierte, könnte ich mich zurückziehen und ganz im Sinne des Faustus von Goethe sagen:"O Augenblick, verweile doch, du bist so schön".
Das Interview führte Sandra Weiss