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Ein Wett­lauf gegen die Zeit.

Bogotá. Für einen effektiven Schutz Amazoniens sind die Indigenen uner­lässlich, sagt Martin von Hildebrand, Träger des Alternativen Nobelpreises und Begründer der Naturschutz­organisation Gaia Amazonas. Vorschläge dafür hat der 1943 in New York geborene Enkel des deutschen Philosophen Dietrich von Hildebrand auch einige – darunter den AAA-Korridor, ein Schutz­gebiet über acht Länder, von den Anden über den Amazonas bis zum Atlantik. Hildebrand, der nach der Flucht seiner Eltern vor dem Nazismus in Kolumbien aufwuchs, studierte Völker­kunde und widmete sich den Amazonas­völkern. Als Leiter der kolumbianischen Indigena­behörde erreichte er die Anerkennung von über 206.000 km2 – dreimal die Fläche Bayerns – als kollektives indigenes Territorium. Ausserdem war er als kolumbianischer Gesandter treibende Kraft 1989 bei der Aushandlung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), bis heute das wichtigste völker­rechtliche Abkommen über indigene Mit­bestimmung. Deutschland hat es nicht unterzeichnet.

Quelle: Privates Archiv
Herr von Hildebrand, woher kommt Ihr Engage­ment für den Amazonas? In den 70er Jahren war ich für Forschungen im Dschungel. Dort habe ich schnell bemerkt, dass die Indigenen im Begriff waren, ihre Kultur zu verlieren. Die Kinder wurden in kirchlichen Inter­naten ausge­bildet und „zivilisiert“, die Männer von den Kautschuk­baronen versklavt. Was hatte das für Folgen? Sie verloren den Bezug zu Mutter Erde und damit die identitäts­stifenden Rituale. Sie und ihr Land wurden verwundbar. Doch nie wären sie auf die Idee gekommen, recht­lichen Anspruch auf ihr Land zu erheben, weil sie finden, es gehört der ganzen Mensch­heit. Nach langen Diskussionen gaben sie mir grünes Licht, für indigene Land­titel zu streiten. 1981 waren die politischen Umstände günstig, und wir bekamen die ersten 4,5 Mio Hektar. Was wurde seither erreicht? Heute sind 26 Mio Hektar, also 55% des kolumbianischen Amazonas­gebietes, kollektives Stammes­land. Trotzdem liest man von Rekord-Entwaldungsraten... Zu Zeiten des Konflikts waren die Flüsse des Amazonas ein wichtiger Korridor für den Drogen­handel und standen unter Kontrolle der Bewaffneten. Die Guerilla liess die Indigenen weit­gehend in Ruhe, und die Präsenz der Bewaffneten schreckte Eindring­linge ab. Das hat sich nach dem Friedens­schluss geändert. Jetzt dringen Vieh­züchter und Gold­schürfer vor. Eigentlich garantiert die kolumbianische Verfassung den Gemeinden aber Rechte, sich dagegen  zur Wehr zu setzen. Es gibt die Möglichkeit von Plebisziten gegen Mega­projekte, und das Verfassungs­gericht hat beispiels­weise Bergbau in den Hoch­mooren generell verboten. Das hört sich vorbildlich an.... Die Gesetze in Kolumbien sind fort­schrittlicher als in anderen Ländern. Aber in der Praxis sieht es leider oft anders aus, weil der Staat zu schwach ist, sich vor Ort gegen regionale wirtschaftliche Interessen durchzu­setzen. Oder weil mit dem Argument der nationalen Ent­wicklung keine Rücksicht auf die Umwelt und die Stammes­gebiete genommen wird. Daraus entstehen viele Konflikte. Trotzdem scheinen sie öfter zugunsten der Umwelt­schützer und Indigenen auszugehen. Ich glaube, das liegt an unserem solideren Rechts­system und der Organisation der Indigenen. In Brasilien beispiels­weise ist der Umwelt­schutz stark von der politischen Konjunktur abhängig, bei uns nicht. Wenn die Indigenen in Brasilien sich wehren, gehen sie nach Brasilia und stecken sich Federn ins Haar, weil sie dann ins Fernsehen kommen und Druck aus­üben können. In Kolumbien gehen sie nach Bogotá und verhandeln direkt mit der Regierung. So haben sie etwa ausge­handelt, dass sie einen Natur­park von einer Mio Hektar im Auftrag des Staates nach indigenen Prinzipien verwalten dürfen. Wenn solche Verhand­lungen scheitern, klagen sie. Unser Oberstes Gericht hat auf so eine Klage hin ganz Amazonien zu einem Rechts­subjekt erklärt. Das heisst, jedes Tier und jeder Baum hat Rechte, zum Beispiel auf sauberes Wasser.
Das ist die Debatte über die Rechte der Natur, die ja auch in der UNO geführt wird. Aber wer wird denn nun die Rechte für einen Baum einklagen? Die Indigenen. Sie sind diejenigen, die das umsetzen. Bislang ist es in der Tat noch schwierig, diese Debatte in der Praxis zu ver­ankern. Aber es ist wichtig, dass sie geführt wird, und eine solche Konvention wäre ein Riesen­fortschritt. Aber nicht alle Regierungen sind offen für solche Dinge, und nicht alle Indigenen sind geeint in Fragen des Natur­schutzes. Manche graben selber nach Gold oder sind nur am Geld der Weissen interessiert... Ja, das ist richtig. Vor allem dort, wo die Indigenen über längere Zeit Gross­projekten und dem Druck der Weissen ausge­setzt waren. Dieses Problem haben heute viele Völker erkannt, und sie arbeiten intensiv daran, dass die Jugend das traditionelle Wissen mit Kameras und Computern dokumentiert und systematisiert. Das stärkt ihr Selbst­bewusstsein und versetzt sie in die Lage, mit den Weissen auf Augen­höhe zu diskutieren. Es gibt also Modelle. Was noch fehlt ist der Austausch inner­halb der Völker Amazoniens, damit die einen von den anderen lernen können. Welche Lösungen sehen Sie? Zusammen mit anderen NGOs haben wir die Ein­richtung eines ländershy;übergreifenden Schutz­korridors von den Anden über Amazonien bis zum Atlantik vorgeschlagen, in dem die Indigenen traditionell leben können, kombiniert mit einem nach­haltigen Entwicklungs­modell aus fairer Wirtschaft, Agroforst­systemen und erneuer­baren Energien. Ziel des Projekts ist es, 260 Mio Hektar am nörd­lichen Amazonas zu bewahren. Das Gebiet umfasst acht Länder, 80% der Natur sind noch intakt. Einen Korridor brauchen wir deshalb, damit der Lebens­raum der Tiere und der Wasser­zyklus erhalten bleiben. Nur so überlebt der Urwald, als Flicken­teppich wird er geschwächt. Deutsch­land und Norwegen unter­stützen diese Idee. Für mich ist klar, dass der Amazonas nicht gerettet werden kann ohne die Indigenen. Mit Naturschutz­gebieten und Park­wächtern alleine ist es unmöglich, so ein riesiges Territorium zu kontrollieren. Kolumbiens Regierung unterstützt die Idee. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hingegen lehnt den Korridor ab, weil er das für eine Ein­mischung von aussen hält und einen versteckten Plan, den Amazonas zu inter­nationalisieren... Das ist überhaupt nicht das Ziel. Wir versammeln Regierungen, Indigene und NGOs an einem runden Tisch. Jedes Land schlägt dabei Mass­nahmen vor und kann auch von anderen Erfahrungen lernen. Es ist also überhaupt keine Ein­schränkung oder Verletzung der Souveränität, wie Bolsonaro behauptet.
Nun ja, ganz unberechtigt scheint diese Angst nicht zu sein, Frank­reichs Präsident Macron hat ja eine solche Möglichkeit nicht ausge­schlossen. Es gibt inter­nationalen Druck, weil der Amazonas einfach eine so wichtige Rolle für das Klima und den Wasser­haushalt der Erde spielt. Aber gerade das zwingt uns ja zur Kooperation! Nehmen wir mal an, Peru und Bolivien holzen den Ost­abhang der Anden ab oder leiten das Wasser um an die Pazifik­küste um. Dann würde sich Bolsonaro sofort beschweren, weil seine Stau­dämme versanden und kein Wasser mehr da ist für seine Agro­industrie. Und ähnlich wäre es, wenn die Brasilianer am Unter­lauf des Amazonas abholzen. Wir müssen uns also zusammen­setzen, denn sonst führt das in einen Wasser­krieg. Haben wir denn über­haupt eine Chance, solche Umwelt­kriege noch abzuwenden? Die Welt reagiert. Die Jugend konsumiert bewusster und demonstriert für den Klima­schutz, und der Papst hat die Amazonas­synode einberufen. Die Frage ist, ob uns die Zeit reicht. Was müssen wir in den Industrie­ländern denn tun ? Wir müssen unser Wirtschafts­modell ändern. Das ist keine Utopie, denn viele Ideen gibt es ja schon, angefangen von alternativen Verkehrs­konzepten und erneuer­baren Energien bis zu  biologischer Vieh- und Landwirtschaft. Wir alle müssen unseren ökologischen Fuss­abdruck verkleinern. Warum fällt das Umdenken so schwer? Die wirtschaft­lichen Interessen der Agrar­industrie und der Konsum­gesellschaft sind sehr stark. Solche Gewohn­heiten zu ändern ist mühsam. Die Politiker sagen oft, wir brauchen erst wirtschaftliche Entwicklung und dann Umwelt­schutz. Deswegen gibt es wenig finanzielle Mittel für die Erforschung und Umsetzung alter­nativer Modelle.  Ich sage, dass Entwicklung und Umwelt­schutz Hand in Hand gehen müssen, wenn wir als Mensch­heit über­leben wollen.  Und dabei kann ein Land alleine nichts ausrichten, sondern alle müssen zusammen­arbeiten. Der Klima­wandel führt uns das täglich vor Augen. Es ist ein Wett­lauf gegen die Zeit, und noch wissen wir nicht, wer ihn gewinnen wird. Die Fragen stellte Sandra Weiss
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