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„Das Damoklesschwert schwebt über Amazonien“

Altamira. „Ich bin Brasilianer mit öster­reichischen Wurzeln“, sagt Erwin Kräutler. In der Region Xingú kennt ihn fast jeder als „Dom Erwin“. Die einen verehren den ehe­maligen Bischof und Prälat von Xingú, für die anderen ist der streitbare Kirchen­mensch ein rotes Tuch. 1939 wurde er in Österreich geboren, am Amazonas übernahm er 1981 eine Diözese, die so gross ist wie Deutsch­land. Schon sehr früh hat er sich für die Rechte der indigenen Völker einge­setzt. „Die Indigenen sind nicht rück­ständig, sondern anders“, sagt er. „Deshalb werden sie so bekämpft.“ Im Jahr 2010 wurde er für seinen Einsatz für die Menschen­rechte und die Erhaltung des tropischen Regen­waldes mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Dom Erwin, Sie sind seit 2015 im Ruhe­stand. Wenn Sie zurück­blicken, hat sich Ihre Arbeit gelohnt? Ich kam als sehr junger Mann hierher, ohne zu wissen, was auf mich zukommt, und um zu lernen. Nie habe ich mir vorge­nommen, dass es sich lohnen muss. So sehen nur Ökonomen das Leben. Wenn ich von vorne­herein glaube, etwas könne schief gehen, dann tue ich nie etwas. Von uns ist der Einsatz gefordert, wo und wann immer es möglich ist. Nehmen wir Jesus - das grösste Fiasko der Geschichte! Nach drei Jahren wird er ans Kreuz geschlagen. Aber gerade aus seiner Hingabe ist die grösste Revolution der Mensch­heit entstanden.
Einer ihrer grössten Rück­schläge war der Bau des Stau­dammes Belo Monte, gegen den Sie von Anfang an waren. Weshalb waren Sie so sicher, dass das schädlich sein wird? Weil ich das alles schon erlebt hatte. Es begann mit dem Bau der Trans­amazônica.  Vor dem Bau der Strasse war Altamira eine Stadt mit 7000 Einwohnern, isoliert vom Rest Brasiliens. Der damalige Militär­präsident Humberto Castelo Branco hatte den Slogan „integrar para não entregar“, das heisst, integrieren, damit wir es nicht hergeben müssen. Ich weiss nicht, welchen Feind er da vor Augen hatte, der Amazonien besetzen könnte. Nach ihm kam General Emilio Medici, der einmal den dürre­geplagten Nord­osten über­flog und sagte „terra sem homem e homem sem terra“, also Land ohne Menschen und Menschen ohne Land. So kam er auf die Idee, die Menschen aus dem Nord­osten an den Amazonas zu verfrachten. Im Grunde genommen war die Erschliessung Amazoniens ein geopolitisches Projekt. Amazonien war immer die Achilles­ferse der Verteidigung. Mit dem ersten Spaten­stich für die Strasse kamen auch die ersten Kasernen. Wie war denn die Anfangszeit der Erschliessung Amazoniens, die Sie erlebt haben? Jede Familie hatte anfangs das Recht auf 100 Hektar, davon sollte sie 20 bewirt­schaften und den restlichen Wald stehen lassen. Das hat nicht funktioniert. Nur noch 15% der Pioniere sind hier, alle anderen gingen wieder zurück oder in die Städte. Es gab auf dem Land keine Schulen, keinen Gesundheits­posten. Die Oma wurde hinterm Haus beerdigt. Hoch­schwangere wurden in der Hänge­matte bis zur Haupt­strasse getragen, um ein Fahr­zeug ins nächste Kranken­haus anzuhalten. Dann kam die zweite Kolonisierung durch Leute aus dem Südosten und Zentral­brasilien, die einen gewissen finanziellen und kulturellen Hinter­grund hatten. Die aus dem Nord­osten hatten keine Chance und verkauften ihr Gebiet. So häuften einige wenige Reiche immer mehr Land an.
Und deshalb waren Sie auch gegen Belo Monte? Man hat uns Anwohner nicht gefragt, man hat uns das Projekt vorgesetzt, als die Würfel längst gefallen waren. Dabei stand nie der Mensch im Mittel­punkt, sondern das Projekt. Für uns war das ein Angriff auf das Herz dieser Region. Tausende wurden verjagt aus ihrem ange­stammten Umfeld. Ganze Gemeinden wie Santo Antônio wurden aus­radiert und die Bewohner einfach überall verteilt und hinein­gepfercht in kleine Fertig­häuschen, in denen man nicht mal eine Hänge­matte aufhängen konnte, geschweige denn, Besuch unter­bringen. Dabei gehört das zur Kultur und Gast­freundschaft. Das Haus ist offen, und man bietet allen Besuchern Platz für ihre Hänge­matten an. Das können die Menschen nun nicht mehr, und das bricht ihnen das Herz. Es gab damals über 60 Auflagen, die vor dem Spaten­stich hätten erfüllt werden müssen. Dann hiess es auf einmal, man mache das alles gleich­zeitig. Das traf natürlich nicht ein. Und da spricht man von der grünen Energie! Ohne an die Menschen zu denken. Was haben Sie alles unter­nommen, um den Bau zu stoppen? Ich war zweimal beim damaligen Staats­präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva von der linken Arbeiter­partei. Er hat mir ver­sprochen, dass er uns das Projekt nie auf­zwingen werde, ausser, wenn alle damit einver­standen sind. Danach sagte er,  dass Brasilien bei den Betroffenen in der Schuld stehe. Aber in wenigen Monaten war alles anders. Wir gründeten damals die Organi­sation Xingú vivo para sempre. Seither stehe ich unter Polizei­beobachtung Tag und Nacht. Mich haben damals Geschäfts­leute bedroht, die meinten, dass ich den Geld­regen verhindere. Der kam natürlich nicht. Heute klopfen sie mir auf die Schulter und sagen, du hast recht gehabt, aber es ist zu spät. Viele fallen herein auf die Politiker und die Unter­nehmen, die lügen was das Zeug hält.
Und das wiederholt sich ja gerade mit der bevorstehenden Eröffnung der Gold­mine Belosan.... Ja, das Damokles­schwert schwebt über uns. Die Menschen glauben an das Versprechen von Arbeits­plätzen. Aber das wird nicht klappen, denn sie haben gar keine Aus­bildung. Die Mine wird eine Riesen­gefahr. Wir haben ja gesehen, wie viele Bergbau­unfälle in Brasilien passieren. Es gibt hier nur sehr laxe Umwelt­gesetze und wenig Kontrollen. Die Mine will 12 Jahre lang Gold schürfen mit den Einsatz von Zyanid. Danach bricht die kanadische Firma ihre Zelte ab. Sie hat Gold, die Regierung die Royalty-Gebühren und wir den Abfall. Wenn du das kritisierst, zeigen sie dich an, denn sie haben alle Genehmigungen von der Regierung. Sicher, denn die Regierung von Jair Bolsonaro steht solchen Gross­projekten ja noch viel aufge­schlossener gegen­über als die Vorgänger. Was erwarten Sie sonst von ihm? Ihm geht es darum, Amazonien zu erschliessen. Die Leid­tragenden werden die Indigenas sein. Denn er packt die alte Leier wieder aus und sagt, viel zu viel Land für so wenige Indios. Im Grund genommen geht es im darum, die Rechte aus der Verfassung von 1988 rück­gängig zu machen. Indigene existierten lange gar nicht im rechtlichen Sinne. Erst in den 30er Jahren tauchten sie in der Verfassung auf, und zwar als Wald­bewohner, die man eingliedern müsse in die nationale Gesell­schaft. Sie galten damals als Menschen dritter Klasse. Die Regierung war ihr Vor­mund, sie hatten keinen Pass und keine Rechte. Wir als Kirche haben uns damals sehr stark gemacht, dass die Indigenen ein Recht auf ihre Sprache und ihre Kultur haben.So steht es in Art. 231 und 232 der neuen Verfassung. Laut den Übergangs­bestimmungen hätten innerhalb von fünf Jahren alle indigenen Gebiete abgegrenzt werden müssen. Nicht einmal die Hälfte ist bis heute so weit. Die aktuelle Regierung hält die Indigenen für rückständig. Sie sind nicht rückständig, sie haben ihre Kultur, ihre Sprache, ihre eigene Art und Weise. Rück­ständig sind sie nur aus der Sicht der Weissen. Sie sind kulturell anders, und deshalb werden sie verfolgt, weil sie nicht so denken, wie der Weisse denkt. Da prallen im Grunde zwei Entwicklungs­modelle aufeinander. Wie sieht denn jeder diese Welt? Für die Indios ist ihr Gebiet das Land ihres Über­lebens, ihrer Mythen, ihrer Riten. Die Regierung und diese neo­kapitalistische Gesell­schaft denkt bei Land an Kaufen und Verkaufen. Es geht also um Land zum Leben, und um Land als Ware. Und wenn ein Land wie das der Indigenen Boden­schätze hat, müssen sie geschürft und geplündert werden. Ist das nicht eine idyllische Vision? Viele Indigene vermieten ihr Land oder stimmen Gross­projekten zu... Leider Gottes. Als ich die Indios kennen gelernt habe, existierte der Tausch­handel. Dann entdeckten sie das Geld, und das häuft man an. Je mehr, umso besser. So verkauften sie ihre Seele.
Wie kann man sie davor schützen? Genauso wie in der nicht-indigenen Gesellschaft bedarf es der Bewusstseins­bildung. Man muss einsehen, dass es so nicht geht und dass wir uns damit schaden. Aber es gibt ja Bedürfnisse, Armut wenig Kommunikation, eine schlechte Gesundheits­versorgung in den indigenen Gemeinden... Sie sind so geworden durch den Einfluss der westlichen Gesell­schaft. Die Krankheiten wurden einge­schleppt. Das heißt nicht, dass sie nie krank gewesen sind. Aber bestimmte Krank­heiten hatten sie nicht. Es gab keine Malaria, es gab keine Grippe. Da steht jetzt die Regierung in der Schuld.  Sie muss einen Gesundheits­posten hinstellen und ihn mit Personal besetzen. Es kann ja nicht sein, dass Indio-Kinder wegen eines Durch­falls oder wegen einer Grippe sterben. Auch Mangel­ernährung kam von aussen, durch Produkte wie Zucker, Weiss­mehl und Alkohol. Was kann man dagegen tun? Eine Rückkehr zu den Wurzeln. Ich kann mich erinnern an eine Veran­staltung, wo es um die gemein­same Bebau­ung des Ackers ging. Das war über­haupt nichts Neues für die Indigenen. In einer kleinen Gemein­schaft habe ich einen wunder­schönen Bananen­hain gesehen und fragte: Wer hat den gebaut? Wir von diesem Volk haben das gemacht, sagten sie. Der alte Mann, die alte Frau, auch die Kinder. Alle gehören dazu. Das find ich das Schöne. Dieses WIR-Empfinden. Welche Rolle spielen die Indigenen für Sie im Umwelt­schutz? Wir sind dafür, dass ihre Gebiete abge­grenzt werden. Mit den indigenen Gebieten und den National­parks zusammen­genommen retten wir, was noch zu retten ist. Denn nach wir vor ist der Andrang der Unter­nehmen so gross, dass Amazonien immer weiter abgeholzt wird,und das hat Folgen für die ganze Mensch­heit. Das wird ja auch ein wichtiges Thema bei der Amazonas­synode, die dem Papst so am Herzen liegt. Welche Erwartungen haben Sie an die Synode im Oktober 2019? Sie hat eine ganz neue Aus­richtung nach dem Prinzip Sehen-Urteilen-Handeln. Zuerst wurden die Leute gefragt. Es ist keine Analyse von Wissen­schaftlern, sondern der Papst wollte, dass die Leute reden. Das verfolgt sogar die Regierung arg­wöhnisch. General Augusto Heleno, Minister für die Institutionelle Sicherheit, hat gesagt, die Synode sei ein Eingriff in die internen Angelegen­heiten Brasiliens und er sei besorgt um die Souveränität. Das heisst, er will uns mundtot machen, aber das wird ihm nicht gelingen. In Rom werden wir über neue Wege der Evangeli­sierung und eine ganz­heitliche Ökologie diskutieren. Dabei geht es nicht nur um Tiere und Wasser, sondern um den Menschen und seine Mitwelt. Den Grund­stein hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si gelegt. Aber es geht auch um inner­kirchliche Probleme. Konservative Bischöfe halten das Vorbereitungs­dokument für einen Angriff auf den Katholizismus, weil das Zölibat und die Weihe von Laien ange­sprochen werden... Mir als Bischof liegt am Herzen, dass wir andere Wege ins Priester­tum finden als nur über einen unver­heirateten Mann. Es geht mir darum, dass möglichst viele Menschen Zugang zur Eucharistie haben. Und es geht auch um kulturelle Anpassung. Praktisch zele­brieren wir die Messe hier am Amazonas so wie im Peters­dom. Wir brauchen eine Kirche mit amazonischem Antlitz. Spielt dabei auch der Erfolg der Evangelikalen eine Rolle, die ja sehr einfluss­reich sind in Amazonien? Das Problem der Evangelikalen ist, dass sie die Menschen taufen und diese ihre Theologie sofort über­nehmen müssen. Wir Katholiken sind seit dem 2. Vatikanischen Konzil davon abgekommen. Aber die Evangelikalen interessiert alles, was vorher war, nicht. Die Indigenen lernen dann sogar englische Gospel! Die Tragödie ist, dass sie für ihren neuen Glauben ihre traditionelle Religiosität und Kultur aufgeben müssen. Die Fragen stellte Sandra Weiss
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