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Der Kreis­lauf der Pestizide schliesst sich

São Paolo. 20 Jahre haben die Europäische Union und der Gemeinsame Südamerikanische Markt (Mercosur) verhandelt. Im Juli 2019 wurde das Freihandels­abkommen besiegelt, das einen Markt mit 760 Millionen Konsumenten schafft, auf dem heute schon Waren im Wert von 87 Milliarden Euro ausgetauscht werden. Stolperstein waren die landwirt­schaftlichen Produkte und der EU-Agrar­protektionismus. Vor allem Brasilien erhofft sich nun einen neuen Markt für Soja, Orangen und Rindfleisch. Doch für die europäischen Konsumenten ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht, sagt Larissa Mies Bombardi von der Universität von São Paolo. In ihrem Büro geht es hoch her: Während ein tropischer Platzregen auf das Dach prasselt, packt ein TV-Team die Kameras ein. Die brasilianische Geografin ist gefragt, denn sie hat vor kurzem einen 290 Seiten langen, ausführlich dokumentierten Atlas über den Einsatz von Agrar­giften in dem südamerikanischen Land heraus­gegeben. Die Zahlen sind erschreckend – und ebenfalls die Aussicht, dass EU-Konsumenten per Freihandels­vertrag nun bald das in Form von Essen zurück bekommen, was EU-Chemie­konzerne in Form von Agrar­giften zuvor exportierten.

Frau Bombardi, wie steht es um den Pestizid­einsatz in Brasilien? Brasilien und die USA sind die grössten Anwender von Pestiziden weltweit. Brasilien konsumiert etwa eine Million Tonnen jährlich. Über 500 Pestizide sind hier genehmigt, davon 150, die in der EU verboten sind. Glyphosat ist das mit Abstand am meisten verkaufte Pestizid, aber die euro­päische Diskussion über die Gefahren des Glyphosats hat hier in Brasilien noch nicht einmal begonnen. Wie hat sich der Pestizid­verbrauch über die Jahre hinweg entwickelt? In den letzten Jahren hat sich der Pestizid­verbrauch um 150% gesteigert, im gleichen Masse auch  die Zahl der akuten Ver­giftungen durch Pestizide. Hängt das mit der Ausweitung der Anbau­flächen zusammen oder mit den zunehmenden Resistenzen? Vor allem mit der Ausweitung. Die Anbau­flächen dringen von der Zentral­savanne immer weiter in den Amazonas vor. Die Anbau­fläche für Soja zum Beispiel hat sich von 18 Millionen Hektar im Jahr 2002 auf 33 Millionen Hektar 2015 fast verdoppelt.
Es gibt eine Studie des INCA, des Nationalen Instituts für Krebsforschung, wonach jeder Brasilianer im Schnitt pro Jahr 5 Liter Pestizide konsumiert, und zwar durch die Rück­stände in den Lebens­mitteln. Diese Rechnung stammt nicht von mir. Aber ich habe dokumentiert, dass im Süden, wo die grossen land­wirtschaftlichen Flächen sind, zwischen 12 und 16 kg Pestizide pro Hektar versprüht werden. In Europa sind es ein, in Belgien bis zu zwei Kilo. Woher kommt dieser enorme Unter­schied? Das offizielle Argument lautet, dass es in den Tropen mehr Schädlinge gibt. Aber es liegt auch am Modell der industriellen Land­wirtschaft, die auf Gentechnik basiert, deren Saat­gut Glyphosat-resistent ist. 70% der Pestizide werden für genetisch veränderte Soja, Mais und Zucker aufgewendet. Das sind riesige Monokulturen. Alleine die Fläche, auf der Soja ange­baut wird, ist so gross wie vier mal Portugal. Ausser­dem sind die Behörden sehr gross­zügig, was Grenz­werte betrifft. Haben Sie ein Beispiel? Bei der Soja sind in der EU Rück­stände von Glyphosat von 0,05 mg pro Kilo erlaubt. In Brasilien 10 mg pro Kilo, also 200 mal mehr. Im Trink­wasser erlaubt Brasilien einen 5000 mal höheren Glyphosat-Rückstand als Europa. Gibt es in Brasilien kein Vorsorge­prinzip? Nein. Wenn beispielsweise ein Pestizid einmal registriert ist, verfällt die Lizenz nie und ist auch nicht periodischen Neu­bewertungen unterworfen so wie in der EU. Die Soja­bauern sagen, das Glyphosat sei nicht sehr toxisch und viel besser als alles andere. Darüber kann man diskutieren. Glyphosat gilt als wenig toxisch, aber diese Ein­ordnung bezieht sich auf akute Toxizität. Langzeit­schäden werden nicht berück­sichtigt. Die Weltgesundheitsorganisation hat Studien angestellt, wonach es möglicher­weise krebs­erregend ist. Und für die Umwelt? Zersetzen sich die Pestizide nicht in Berührung mit Wasser? Nein, sie verschwinden nicht, sie werden im Boden und im Grund­wasser einge­lagert und töten dort die vorhandenen Mikro­organismen ab. Welche Folge hat das? Der Boden wird unfruchtbar, das haben wir in Studien an der Universität herausgefunden. Die Boden­fruchtbarkeit hat nicht nur mit Mineralien zu tun, sondern auch mit biologischen Mikro­organismen, die durch Insektizide und Fungizide getötet werden. In 20 Jahren werden die Soja­äcker also zur sterilen Wüste? Ja, mittel­fristig deuten die Studien darauf hin.
Das agro­industrielle Modell ist also nicht nach­haltig? Nein, nicht mal kurz­fristig. Jeden Tag sterben 8 Menschen an Vergiftungen laut offiziellen Zahlen. Wenn wir die Dunkel­ziffer schätzen, wurden in Brasilien in den letzten sieben Jahren eine Mio Menschen vergiftet. Das ist weder menschlich noch im Hin­blick auf die Umwelt vertret­bar. Das Problem ist das Entwicklungs­modell. Brasiliens Rolle in der Welt­wirtschaft ist die Herstellung von Nahrungs­mitteln und Agro­sprit. Ernährungs­souveränität und Volks­gesundheit stehen hinten an. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Die Anbau­fläche für cash crops für den Export wie Soja, Zucker und Mais hat zugenommen, und die für Grund­nahrungsmittel wie Reis, Bohnen und Maniok ist zurück­gegangen. Das ist die Logik einer sub­alternen Integration in den Welt­markt. Die Verteidiger des Modells sagen, dass wir nur so eine wachsende Welt­bevölkerung ernähren können. Brasilien hat die Anbau­flächen ausge­weitet und die Produktivität erhöht, aber der Hunger auf der Welt ist nicht zurück­gegangen. Wenn es wirklich um Ernährungs­souveränität ginge, müsste man in Brasilien eine Land­reform vornehmen und das Land an viele Klein­bauern verteilen, die es dann biologisch bewirtschaften. Aber könnte Brasilien dann auch weiterhin Lebens­mittel exportieren? Ja, aller­dings andere und vielleicht in einem anderen Umfang und zu anderen Preisen. Zugleich könnte man Arbeits­plätze schaffen, denn das agro­industrielle Modell basiert auf Maschinen und braucht kaum Arbeits­kräfte. Davon hätte die Mehr­heit der Brasilianer Vorteile. Warum wird das dann nicht gemacht? Weil die wirtschaft­lichen Interessen wichtiger sind als Gesund­heit und Umwelt. Das ist im Interesse der Agro­bourgeoisie hier und der inter­nationalen Konzerne, die jährlich zehn Milliarden US-Dollar in Brasilien mit Nahrungs­mitteln erwirt­schaften. Welche Rolle spielt dabei die Regierung? Sie repräsentiert die Interessen der Agrar­industrie. Unsere Landwirtschafts­minister sind in der Regel Sojabarone oder vertreten deren Interessen. Die Strukturen zu ändern gehört nicht dazu.
Und was hat das mit Europa zu tun? Es gibt einen Vergiftungs-Kreislauf. Der Gross­teil der Pestizide kommt aus den USA und der EU. Chemie­konzerne wie Bayer-Monsanto oder Syngenta exportieren in Dritt­länder auch Pestizide, die in Europa verboten sind. Der Gross­teil dieser Chemikalien und des Schadens wird natürlich hier in Brasilien ange­richtet, aber ein Teil kommt in Form von Nahrungs­mitteln wieder zurück nach Europa. Aber die europäischen Konsumenten glauben, dass ihre Nahrungs­mittel sicher sind und kontrolliert werden. Meiner Meinung nach sind die Kontrollen nicht effektiv. Sie sind nur zufällig und stichproben­artig, aber in der Regel wird nicht zurück­verfolgt, woher die Nahrungs­mittel kommen und mit wie viel Pestiziden sie behandelt wurden. In Deutschland ist das am meisten konsumierte Produkt aus Brasilien Kaffee. Was haben sie darin gefunden? Ein Viertel der hier erlaubten Pestizide für Kaffee sind in der EU verboten. Wenn das nicht alles eng­maschig über­wacht wird, was nicht der Fall ist, dann gehe ich davon aus, dass die Europäer erhöhte Pestizide konsumieren. Das gleiche gilt für Orangen­saft. Dafür sind 216 Pestizide zuge­lassen, 33 davon sind in der EU verboten. Ist das Schein­heiligkeit der Politik? Ich glaube, es ist fehlende Information. Die Bevölkerung hat keine Ahnung, was sie konsumiert. Und blindes Vertrauen in die Behörden. Der Freihandels­vertrag EU-Mercosur segnet das aber doch ab? Wie er umgesetzt wird, hängt von den EU-Konsumenten ab. Wenn sie sich bewusst sind, welche Risiken mit solchen belasteten Lebens­mitteln verbunden sind und welche Schäden diese Art der Produktion in Brasilien anrichtet, dann könnten sie den Gift-Kreislauf stoppen. Die Fragen stellte Sandra Weiss
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