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Brasiliens "fliegende Flüsse" drohen zu versiegen

Fotografin Margie Moss lebt seit 25 Jahren in Rio de Janeiro, wo sie als Foto­grafin arbeitet. Seit den 80er-Jahren sammelt sie Daten über den Regenwald.

Foto: Privates Archiv

Frau Moss, was hat es mit den "fliegenden Flüssen" auf sich?

Mein Mann Gerard und ich wurden durch eine Konferenz des brasili­anischen Klima­forschers Antonio Donato Nobre in Manaus auf das Thema aufmerksam und haben uns mit unserem Klein­flugzeug für Messungen zur Verfügung gestellt. Dadurch konnten wir nach­weisen, dass Wasser­tropfen, die vom Atlantik kommen, über dem Amazonas abregnen, erneut verdampfen, entlang der Anden bis tief nach Süd­amerika wandern und dort Regen bringen. Dieses Phänomen hat Nobre "fliegende Flüsse" genannt.

Damit ist der Amazonas nicht nur ein wichtiger CO2-Schlucker, sondern hat klimatisch grossen Einfluss auch auf weit entfernte Regionen?

Ja, aber das ist dem breiten Publikum völlig unbekannt. Ein zweiter Teil unserer Arbeit besteht deshalb in Works­hops für Lehrer, um dieses Wissen zu verbreiten. Bislang haben wir 4000 Lehrer unterrichtet und insgesamt 600.000 Kinder erreicht.

Doch was nützt das Wissen, wenn die Abholzung weitergeht? Rund 700.000 Quadrat­kilometer Wald wurden seit den 70er-Jahren abgeholzt.

Im Amazonas­becken ist die Bevölkerung sehr interessiert und beunruhigt. Ausser­halb fehlt es noch an Bewusst­sein für die Problematik. Deshalb arbeiten wir mit Lehrern und Kindern in ganz Brasilien. Einige von ihnen sitzen vielleicht eines Tages in Schlüssel­positionen. Heute denken viele Brasilianer noch, dass ihre Ressourcen unendlich sind.

Das hat sich auch nicht durch die Dürre geändert, die nun schon fast regel­mässig die Industrie­metropole São Paulo heimsucht?

Anfangs haben sich die Menschen für Umwelt- und Klima­fragen mehr interessiert, als nämlich die Wasser­preise stiegen. Es gab den Ruf nach Wiederauf­forstung. Aber wie so oft in Brasilien wurde das Problem schnell zum Geschäft. Die Regierung schlug vor, das Wasser durch Fluss­umleitungen von weither zu holen und entwarf ent­sprechende Mega­projekte. Das ist zwar nur eine kurz­fristige und sehr teure Lösung, aber sie bringt Gewinn für Politiker und Firmen.

Sie haben die Mega­projekte erwähnt. Neben Fluss­umleitungen sind grosse Stau­dämme und Wasser­strassen am Amazonas in Bau oder geplant. Welche Folgen werden sie haben?

Sie sind eine ernste Bedrohung für den Regen­wald, nicht nur wegen des Baus selbst, sondern wegen der vielen Menschen und Strassen, die sie mit sich bringen und die den Druck auf den Regen­wald weiter erhöhen. Aber wenn man etwas gegen die Projekte sagt, wird man als Fortschritts­verweigerer abgestempelt.

Was gäbe es denn für Alter­nativen?

Nehmen wir die Land­wirtschaft. Viel Regen­wald wird ja für Soja­plantagen und Rinder­weiden abgeholzt. Das wäre nicht nötig. Im Süden besitzt Brasilien hundert­tausende Hektar Land, das durch unsach­gemässe Nutzung steril geworden ist. Wenn die Regierung den Leuten bei­bringen würde, wie sie dieses Land wieder frucht­bar machen, bräuchten sie nicht immer weiter­ziehen und neuen Wald roden.

Brasiliens Entwicklungs­modell hängt am Wasser, 80 Prozent der Energie stammen aus der Wasser­kraft, die Land­wirtschaft braucht Bewässerung. Trotzdem verab­schiedete der Kongress ein Gesetz, das den Schutz des Regen­waldes aufweicht und damit die Wasser­speicher gefährdet. Warum?

Weil die Regierung nur kurz­fristig denkt, bis zur nächsten Wahl, und den Regen­wald nicht für schützens­wert hält, sondern für eine Ressource, die es auszu­beuten gilt. Führt man die wichtige Rolle des Amazonas für das Welt­klima an, entgegnen einem die Brasilianer, das sei ein Problem der anderen. Und die Europäer hätten ja auch ihre Wälder abgeholzt – was stimmt, aber natürlich nicht vergleichbar ist mit der Rolle, die Tropen­wälder für das Welt­klima spielen.

Das hört sich sehr pessimis­tisch an. Haben Sie die Hoffnung bereits aufge­geben?

Es gibt viele Umwelt­gruppen und Bürger­initiativen, die versuchen, den Schaden zu begrenzen. Doch das sind einzelne Initiativen, ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber wir können nicht auf­geben, denn dafür steht zu viel auf dem Spiel. Ich war neulich im Norden São Paulos, an den Stauseen des Wasser­reservoirs Cantareira, und sie haben weniger als zehn Prozent ihres Volumens. Das Wasser, das dort abge­pumpt wird, hat eine miserable Qualität. Trotzdem gehen noch immer 30 Prozent des abgepumpten Wassers auf dem Weg zum Konsumenten verloren. Vielleicht bedarf es wirklich einer grossen Katastrophe, damit endlich etwas geschieht.

Die Fragen stellte Sandra Weiss

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